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„DAS IST KRIEG, HERR PFARRER!“
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Ein Kleinostheimer Editionsprojekt zur „Seelsorge via Feldpost“ im Zweiten Weltkrieg
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Mein besonderer Dank für die Initiation dieses Projektes und die im Zuge dessen erfolgte Beratung im Pfarreiarchiv der Gemeinde
Kleinostheim gilt Edwin Lang, dem Pfarreiarchivar und bedeutenden Lokalhistoriker, dessen Einsatz zur Bewahrung und Aufarbeitung
historischer Quellen an dieser Stelle auch ein explizites Lob verdient hat. Ohne sein Zutun existierte das hier vorgestellte Editionsprojekt,
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Soldaten jedoch nach einer gewissen „Normalität“, die
EINLEITUNG
das hoffentlich 2022 abgeschlossen werden kann, nicht.
Kriege verändern Menschen und selten kommen diese
unbeschadet an Leib und Seele aus ihnen zurück. Der
Zweite Weltkrieg war mit seinen vielen Toten auch in
Kleinostheim eine einschneidende Zäsur,2 und für diejenigen Soldaten, die aus der Gemeinde an die Fronten
des Krieges geschickt worden waren, um im Namen
des Nationalsozialismus zu kämpfen und zu töten, war
dies, sofern sie selbst überlebten, eine der prägendsten
Erfahrungen ihres Lebens.3 Viele dieser Erfahrungen
und Eindrücke waren traumatisch, was per se jedoch
kein Argument zur moralischen Entlastung darstellen
kann, war doch auch die Wehrmacht an den Verbrechen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft beteiligt.4 Gerade aufgrund ihrer Erlebnisse suchten viele
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3
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Mein besonderer Dank für die Initiation dieses Projektes und die
im Zuge dessen erfolgte Beratung im Pfarreiarchiv der
Gemeinde Kleinostheim gilt Edwin Lang, dem Pfarreiarchivar
und bedeutenden Lokalhistoriker, dessen Einsatz zur Bewahrung und Aufarbeitung historischer Quellen an dieser Stelle
auch ein explizites Lob verdient hat. Ohne sein Zutun existierte
das hier vorgestellte Editionsprojekt, das hoffentlich 2022 abgeschlossen werden kann, nicht.
Pfarrei Sankt Laurentius Kleinostheim (Hg.): Nekrologium
Kleinostheim. Kleinostheim 2018.
Für eine ganz allgemeine Betrachtung der soldatischen
Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges vgl. Sönke Neitzel u.
Harald Welzer: Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und
Sterben. Frankfurt am Main 2012.
Vgl. dazu Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.):
Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944. Ausstellungskatalog. 3Hamburg 2021 sowie
sie sich via Feldpostbriefen schufen, mit denen sie Verbindung hielten zu ihren jeweiligen Familienangehörigen, Freunden oder, wie im vorliegenden Beitrag zu
zeigen sein wird, zum Pfarrer ihrer Gemeinde, der seelischen und spirituellen Beistand leisten konnte. Im
Folgenden wird ein solcher individueller Fall, der Teil
eines umfangreicheren Editionsprojektes ist und bei
dem eine größere Anzahl Feldpostbriefe von Kleinostheimer Soldaten an den katholischen Geistlichen der
Gemeinde,5 Pfarrer Josef Hepp (1892–1974)6, ediert
und herausgegeben werden sollen, vorgestellt.
Die Feldpostbriefe an den katholischen Geistlichen
sind dabei in vielerlei Hinsicht von historischem Interesse. Zum einen belegen sie, welche Rolle Geistliche
und deren seelsorgerischer Beistand auch während des
Zweiten Weltkrieges spielten und wie wichtig der Kontakt zu einer so zentralen Figur der Heimatgemeinde
für die Soldaten war. Zum anderen geben die Briefe
einen Einblick in die Gedankenwelt der Schreibenden
5
6
das Sonderheft „Verbrechen der Wehrmacht“. Anmerkungen zu
einer Ausstellung, in: Mittelweg 36 30 (2021), H. 5–6.
Insgesamt sind im Pfarreiarchiv Kleinostheim mehr als 300 Briefe
von etwa 180 Soldaten überliefert. Pfarreiarchiv, Katholische
Gemeinde Sankt Laurentius Kleinostheim, Feldpost an Pfarrer
Hepp. Aus diesem Bestand (01.1) stammen auch die hier
vorgestellten Briefe von August Bender an Pfarrer Josef Hepp.
Zu Leben und Wirken von Josef Hepp vgl. Edwin Lang:
„Mitwirken dürfen am Heil der Menschen“. Biografisches über
den Geistlichen Rat Josef Hepp. Kleinostheim 1999.
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und zeigen nicht nur, inwieweit die oft jungen Männer
am Krieg im Allgemeinen und den nationalsozialistischen Kriegszielen im Speziellen zweifelten oder diese
unterstützten, sondern auch welche Rolle die religiösen Auffassungen und der Glaube an Gott für die Wahrnehmung ihrer Umgebung und des Kriegszustandes
spielten. So offenbart sich ein umfangreiches Bild des
Alltags junger Männer, die zwischen 1939 und 1945 mit
den Folgen des nationalsozialistischen Expansionskrieges konfrontiert waren, und den heutigen Leser*innen
wird klar, wie wichtig den jungen Soldaten gerade in
dieser Situation eine aktive Verbindung zu ihrem Heimatpfarrer und Seelsorger war. Denn dessen Antworten offerierten das, was ihnen am meisten fehlte, ein
Stück jener „Normalität“ und jenes Alltags, die sie aus
friedlicheren Tagen in Gestalt der regelmäßigen Messen unter Leitung des katholischen Geistlichen
gewohnt waren.
sowie den Umgang mit begangenen Gewalttaten –
diese werden in Briefen, auch an Pfarrer Hepp, oft einfach verschwiegen – getroffen werden.8
Im Fall der Korrespondenz mit dem Kleinostheimer
katholischen Geistlichen sind archivalisch im Pfarreiarchiv der Gemeinde Sankt Laurentius nur die Briefe an
ihn selbst überliefert, wobei aus den Antworten der
Soldaten hervorgeht, dass Hepp mit ihnen in aktivem
Kontakt stand und sich wirklich um die Aufrechterhaltung desselben bemühte. Der am 30. Januar 1892 in
Bergrothenfels geborene Hepp hatte nach dem Abitur
1910 ein Studium der Theologie und Philosophie in
Würzburg aufgenommen, wo er im Oktober 1911 in
das Priesterseminar eintrat. Am 2. August 1914 wurde
er schließlich von Bischof Ferdinand von Schlör zum
Priester geweiht, bevor ihm ab 1928 die Pfarrei Kleinostheim (Sankt Laurentius) übertragen wurde, wo er
FELDPOSTBRIEFE AN PFARRER HEPP
Feldpostbriefe sind eine wichtige Quelle, geben sie in
großer Zahl doch „Aufschluß über Millionen von Menschen […], die den Krieg ausgeführt haben“.7 Je nach
Verfügbarkeit und Perspektive der Untersuchung ergeben sich so Möglichkeiten, Einsichten über den Alltag
von Soldaten, aber auch deren Ängste, Nöte und Sorgen zu gewinnen. Gleichfalls können auf Basis ausreichender Feldpostbriefe generalisierende Aussagen
über das soldatische Milieu, etwa mit Blick auf Ideologisierungsrate, das Verhältnis zu Gewalt und zum Töten
7
Katrin Kilian: Die anderen zu Wort kommen lassen. Feldpostbriefe als historische Quelle aus den Jahren 1939 bis 1945. Eine
Projektskizze. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 (2001), H. 1,
S. 153–166, hier S. 153.
Abb. 1
Erinnerungstafel an Josef Hepp, Kleinostheim.
Foto: Edwin Lang
8
Vgl. beispielhaft die folgende Edition und Studien: Elke
Scherstjanoi (Hg.): Rotarmisten schreiben aus Deutschland.
Briefe von der Front (1945) und historische Analysen. München
2004.
bis 1968 wirkte.9 Zu seinen Betätigungsfeldern dort
gehörten, so Hepp-Biograph Edwin Lang, vor allem
„[d]ie Seelsorge, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die [Linderung der] Not des Zweiten
Weltkrieges und der Neubau der Pfarrkirche“10 nach
dem Ende des Krieges.
Die vielen Feldpostbriefe an Hepp zeigen seine Verbundenheit mit den Kleinostheimern, die während des
Zweiten Weltkrieges eingezogen worden waren. Der
Kontakt erstreckte sich oftmals über Jahre, wie im Fall
der hier vorgestellten Briefe von August Bender (1901–
1968)11 an den Pfarrer.
Aus den Briefen geht gleichfalls hervor, wie wichtig den
jungen Männern der Kontakt zu ihrem Seelsorger war
und über welche Erfahrungen und Sorgen sie sich mit
Abb. 2
Feldpostkarte von August Bender an Pfarrer Josef Hepp, 18. Januar
1942 (gestempelt 20. Januar).
Pfarreiarchiv, Katholische Gemeinde Sankt Laurentius
Kleinostheim
9
10
11
Lang (Anm. 6), S. 4.
Ebd.
Ich danke Edwin Lang, Ewald Knichelmann und Joachim
Schwarz für die Unterstützung bei der Identifizierung.
77
Abb. 3
Sterbebild August Bender.
Foto: Edwin Lang
ihm austauschten. Oft ging es einfach nur darum, den
Kontakt zu einem Element ihres bisherigen Lebens,
nämlich ihrem Glauben, nicht zu verlieren, der in gewisser Weise als „Anker“ in der Extremsituation des Krieges
fungierte und an den sich viele Soldaten daher klammerten. Hepp mag hier emblematisch für den eigenen
Glauben gestanden haben. Die Erfahrung des Krieges
hatte neue Referenzrahmen geschaffen, einen in vielfacher Hinsicht entgrenzten Raum, in dem Gewalt an der
Tagesordnung war. So war die Seelsorge, die Hepp in
seinen Antworten an die Schreibenden quasi via Feldpost leistete, vielen der jungen Männer besonders wichtig. Referenzen auf den eigenen Glauben bzw. den
Wunsch nach einem Gebet Hepps für das Heil der Soldaten selbst, einen baldigen Frieden oder einfach nur das
Wohl der Familie, waren deshalb oft Teil der Briefe.12
12
Zu verschiedenen Perspektiven auf die Rolle des kirchlichen
Lebens während des Krieges vgl. Hermann Düringer u. JochenChristoph Kaiser (Hgg.): Kirchliches Leben im Zweiten Weltkrieg.
Frankfurt am Main 2005.
78
KRIEGSERFAHRUNG
In ihren Briefen an Pfarrer Hepp berichteten die Soldaten aus ihrem Alltag und von ganz verschiedenen
Kriegsschauplätzen und Einsatzorten, zum Beispiel
Luxemburg, Norwegen oder der Sowjetunion. Interessanterweise beschränken sich die Schilderungen auf
den jenseits der eigentlichen Kriegshandlungen stattfindenden Alltag. Mit Blick auf den Krieg werden in
erster Linie Not und Mangel, Krankheit sowie der Tod
von Kameraden beschrieben. Darüber hinaus schildern
viele die ihnen bis dahin fremde Umgebung und versuchen, einen Eindruck von ihrem Einsatzgebiet zu
vermitteln. Nur sehr selten wird die Gewalt des Krieges
offen thematisiert. Dabei hatte sich gerade während
des Feldzuges gegen die Sowjetunion seit Juni 1941
„das Koordinatensystem von legitimer und illegitimer,
von angemessener und exzessiver Gewaltanwendung
seit dem Ersten Weltkrieg erheblich verschoben“.13 Der
Vernichtungskrieg in der Sowjetunion14 hatte die Wehrmacht vollends zu einer „Armee der Extreme“15 werden
lassen, die nun aktiv in die Auslöschung der europäischen Juden, Strafaktionen gegen Partisanen sowie
Verbrechen gegen Zivilist*innen involviert war. Ob sich
die Soldaten, die an Pfarrer Hepp schrieben, als Täter,
also als „Menschen, die eine mit Schuld verbundene
Handlung ausführen“,16 verstanden oder in ihren Taten
per se kein Verbrechen erkannten,17 weil sie mit den auf
dem östlichen Kriegsschauplatz geltenden Regeln und
der vom NS-Regime seit Jahren kommunizierten und
nun applizierten Propaganda einhergingen,18 kann
daher nur schwer eruiert werden.
Sicher ist, dass der Zweite Weltkrieg im Osten Europas
ebenso wie jeder andere Krieg ein Raum-Zeit-Kontinuum organisierter Gewalt darstellte, in dem Töten,
Sterben sowie Zerstörung und Schrecken den Alltag
der Soldaten bestimmten.19 Die Anwendung von
Gewalt war im Kontext des Zweiten Weltkrieges allerdings funktional und durch die Rolle als Soldat legitimiert. Das heißt jedoch nicht, dass das von allen
Männern so gesehen wurde. Sicherlich wog die Last
des Gewissens in vielen Fällen schwer, wobei diese
reflektierenden Prozesse erst nach der eigentlichen Tat
einsetzten und die Aktionen, an denen die Soldaten
beteiligt waren, zunächst einmal beinahe mechanisch
abliefen. In der sozialpsychologischen Forschung
wurde die Idee unterstrichen, dass die Soldaten durch
den Krieg brutalisiert worden seien, was jedoch die
Möglichkeit ausblendet, dass Gewalt auf einige der
Männer auch eine gewisse Attraktion ausgeübt haben
könnte.20 In vielerlei Hinsicht sozialisierten sich die Sol-
17
18
13
14
15
16
Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner
Republik – eine Militärgeschichte. Berlin 22020, S. 219.
Ebd., S. 225–231.
Ebd., S. 247.
Elissa Mailänder: Unsere Mütter, unsere Großmütter: Erforschung
und Repräsentation weiblicher NS-Täterschaft in Wissenschaft
und Gesellschaft. In: Oliver von Wrochem (Hg.):
Nationalsozialistische Täterschaften. Nachwirkungen in
Gesellschaft und Familie. Berlin 2016 (= Neuengammer
Kolloquien 6), S. 83–101, hier S. 85.
19
20
Vgl. dazu Jan Philipp Reemtsma: Grußwort. Zur Eröffnung der
Ausstellung über Fritz Bauer, in: Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer
Instituts 12 (2014), S. 58 f., hier S. 58.
Dazu ausführlich: Olga Shtyrkina: Mediale Schlachtfelder. Die
NS-Propaganda gegen die Sowjetunion (1939–1945). Frankfurt
am Main 2018.
Daniel Hohrath u. Daniel Neitzel: Entfesselter Kampf oder
gezähmte Kriegführung? Gedanken zur regelwidrigen Gewalt
im Krieg, in: dies. (Hgg.): Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der
Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins
20. Jahrhundert. Paderborn 2008 (= Krieg in der Geschichte 40),
S. 9–37, hier S. 9.
Sönke Neitzel u. Harald Welzer: Soldiers. German POWs on
Fighting, Killing, and Dying. New York 2013, S. 44.
daten zudem über die geteilte Gewalterfahrung als Teil
der erfahrenen und gelebten Kameradschaft einer verschworenen (Täter-)Gemeinschaft.21 Sicherlich muss
hier ebenfalls beachtet werden, dass Gewalt schlichtweg zum Referenzrahmen der Soldaten gehörte und
das Töten als Teil ihrer Pflicht wahrgenommen werden
konnte.22
Äußerungen dazu tauchen, ebenso wie offen antisemitische Bemerkungen, in den Briefen kaum auf. August
Bender beschreibt lediglich des Öfteren seine Bestürzung über die Armut und Not in der Sowjetunion, setzt
diese interessanterweise aber nicht mit dem Krieg, sondern der seit dem Scheitern der Russischen Revolution
existierenden „Herrschaft des Bolschewismus“ in
Zusammenhang. Bedenkt man diesen Aspekt der nationalsozialistischen Propaganda, der seit der Erfahrung
der Novemberrevolution 1918, vor allem in Bayern, wo
eine „Bolschewismusfurcht“ besonders evident war,23
verstärkt und normalerweise mit antisemitischen Argumenten zum sogenannten Judäobolschewismus vermengt wurde,24 verwundert es nicht, dass diese
propagandistischen Stereotype auch in einigen der
21
22
23
24
Dazu ausführlich Thomas Kühne: The Rise and Fall of
Comradeship. Hitler’s Soldiers, Male Bonding and Mass Violence
in the Twentieth Century. Cambridge u.a. 2017.
Neitzel u. Welzer (Anm. 20), S. 53.
Bettina Köttnitz-Porsch: Novemberrevolution und Räteherrschaft
1918/19 in Würzburg. Würzburg 1985 (= Mainfränkische Studien
35), S. 13.
Vgl. dazu Frank Jacob: The Semiotic Construction of JudeoBolshevism in Germany, 1918–1933. In: War and Semiotics Signs,
Communication Systems, and the Preparation, Legitimization,
and Commemoration of Collective Mass Violence. Hg. v. Frank
Jacob. London 2020, S. 106–127; ders.: Der Kampf um das Erbe
der Revolution: Die Darstellung Kurt Eisners in den Printmedien
der Weimarer Republik. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 29 (2020), S. 325–346; ders.: Kurt Eisner, die Revolution in Bayern und die Genese eines antisemitischen Verschwörungsnarrativs. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
69 (2021), H. 12, S. 1024–1037.
Briefe an Pfarrer Hepp auftauchen, zumal der Krieg bisweilen als eine Art christlicher Kreuzzug gegen die
Sowjetunion interpretiert wurde.25
Alles in allem überwiegen aber die persönlichen Erfahrungen in den Kriegsjahren sowie der Wunsch, die Verbindung zu Gemeinde und Seelsorger aufrechtzuerhalten. Wie wichtig diese spirituell-religiöse Verbindung für die jungen Männer war und welche Rolle
Josef Hepp als Seelsorger auch in Kriegszeiten übernahm, belegen die Briefe eindrucksvoll.
SCHLUSSBETRACHTUNG
Die Feldpostbriefe Kleinostheimer Soldaten an Pfarrer
Josef Hepp sind in ihrer durchaus großen Zahl ein wichtiger Quellenfundus, der mit Blick auf verschiedene
Fragestellungen hin untersucht werden kann. Welche
Rolle spielte Religion während des Zweiten Weltkrieges
im Allgemeinen und für junge Soldaten im Speziellen?
Wonach sehnten sich die Männer, während sie an der
Front einen Krieg führten und einem Regime dienten,
an das sie längst nicht mehr alle und in vollem Maße
glaubten? Wie eng war die Verbindung eines Seelsorgers zu seiner Gemeinde, auch in einer Zeit der Extreme
und der Gewalt? Und: Wie kommunizierten Soldaten
ihre Erfahrungen mit Blick auf den Referenzrahmen,
der von Krieg, Gewalt, Verlust und Zerstörung determiniert war? All diese Fragestellungen sind wichtig und
scheinen das Potenzial zu haben, unser Verständnis des
Zweiten Weltkrieges aus Sicht der in ihm kämpfenden,
tötenden und oft vor Ende desselben sterbenden Sol-
25
Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann sprach
dahingehend von einer „heiligen Hetzjagd“. Wolfgang
Wippermann: Heilige Hetzjagd. Eine Ideologiegeschichte des
Antikommunismus. Berlin 2012.
79
80
daten besser zu verstehen. Die Edition der Feldpostbriefe an Pfarrer Josef Hepp strebt deshalb danach,
diese individuellen Berichte einem breiteren Lesepublikum zugänglich zu machen und so nicht nur einen
Beitrag zur Geschichte Kleinostheims, sondern der Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die Menschen
in der Region zu leisten.
APPENDIX. DOKUMENTATION EINER
INDIVIDUELLEN KORRESPONDENZ, AUGUST
BENDER AN JOSEF HEPP, 1941–194326
3. Mai 1941.
Grüss Gott, Herr Pfarrer!
Seit 4 Wochen trage ich nun wieder den grauen Rock
und längst wäre eigentlich für Sie ein Brief fällig gewesen und entschuldigen Sie bitte deshalb meine Nachlässigkeit. Ich hatte bisher jeden Tag, den Gott gab, von
morgens bis in die Nacht hinein alle Hände voll zu tun
und immer nur wenige Freizeit, in der ich Elisabeth27
und meinen Eltern schrieb.
Ich kam, nachdem ich, wie bekannt, bereits früher auf der
Heeres-Standort-Verwaltung arbeitete wieder bei der
Feldeinheit auf die Zahlmeisterei und diese Arbeit liegt
mir auch und macht mir Freude und vor allem, ich bringe
da den Tag schneller tot. Arbeit ist ja immer das Beste.
Mein Chef, [sic] ist auch ein sehr lieber und netter Mensch.
26
27
Editorische Notiz: Die folgenden Briefe werden wie im Original
wiedergegeben, so dass etwa Datumsangaben in ihrer Form
variieren. Änderungen wurden, ebenso wie etwaige
Auslassungen (i.d.R. aufgrund von unleserlichen Passagen), mit
eckigen Klammern bzw. […] gekennzeichnet. Fehler im Text
wurden so belassen, sind aber mit [sic] gekennzeichnet.
Benders Frau.
Meine Einberufung kam kurz befristet, sonst hätte ich
Sie gerne nochmals gesprochen. Schade, dass ich z.Zt.
als Sie bei uns waren nicht zuhause war.
In Kleinostheim passieren ja tolle Sachen, ich denke da
in erster Linie an den plötzlichen Tod von […] Ja es
muss halt eben leider jeder über die Klinge des Sensenmannes und wenn das nicht abgeschafft wird, kommen auch wir mit anderen Leuten noch an die Reihe.
Der Kreis um mich ist der Übliche [sic]. Vor kurzem
machte ich beim Mittagstisch eine nicht alltägliche
Bekanntschaft[,] ein Sanitäts-Soldat bei uns ist im Zivilberuf Kaplan in Essen und war Präses eines Jungmänner-Vereins. Fein was? Morgen früh wollen wir zusammen mit Elisabeth, die ich heute noch erwarte, 4 km
von hier zur Kirche, in der er celebriert [sic].
Entschuldigen Sie bitte noch die Schreibmaschinenschrift, die für mich den Vorteil hat, dass es schneller
geht.
Es würde mich freuen, von Ihnen einmal zu hören und
seien Sie in alter Treue recht herzlich gegrüsst, mit der
Bitte um Gebet für meine Familie, von
Ihrem August!
10. Aug. 1941.
Grüß Gott, Herr Pfarrer!
Gestern erhielt ich Ihre Zeilen vom 15. Juni, haben Sie
[D]ank dafür. Sie haben recht, es ist im Kriege nicht leicht
„Mensch“ zu bleiben, nicht wegen des Geldes und auch
nicht im Überfluß der Arbeit, aber ob der Grausamkeit
und der Greueltaten. Wissen Sie diese bolschewistischen
Kommissare sind alles andere als Menschen.28 Alles was
28
Vgl. dazu auch den sogenannten Kommissarbefehl. Richtlinien
für die Behandlung politischer Kommissare [Kommissarbefehl],
6. Juni 1941, Bundesarchiv-Militärarchiv, BArch MA, RW 4/v. 578,
Bö. 42–44, online unter: https://www.1000dokumente.de/index.
Mannes, ähnlich wie in Deutschland. Folge
davon, die Kinder wurden von ihren Vätern
totgeschlagen und begraben. Dies wurde
zwar auch bestraft, aber bei den C.C.C.P.
Leuten ging das ins [U]nsichtbare. – Alles
ist hier anzutreffen, sogar jedes Haustier,
wie Wanzen, Flöhe, Läuse, Mäuse, Ratten
und ganze Schwärme Fliegen. Man hat
also die geschlagenen 24 Stunden des
Tages die nötige Unterhaltung. Wenn wir
irgendwo auf der Straße Aufenthalt haben
und essen etwas, dann stehen im Nu eine
Menge Kinder herum und beobachten
Abb. 4
Deutsche Truppen in den Ruinen von Minsk, Juli 1941.
jeden Brocken der zum Munde geht. – Ich
Foto: Albert Cusian.
kann das nicht sehen und esse deshalb
Wikimedia Commons, Bundesarchiv, Bild 101I-137-1009-17, CC-BY-SA 3.0
meistens während des Fahrens, alles was
Menschenhand errichtet, machen sie bei ihrem Rückzug
wir verdrücken, ist deutsche Ware, denn
nieder. So in etwa hatten wir schon eine Vorstellung
hier ist rein gar nichts zu haben. Das ist Rußland und
vom Kriege, was man aber in Rußland sieht, übersteigt
das ist Krieg, Herr Pfarrer! Gebe Gott, daß nicht alles
jede Vorstellung! Z.B von der ehem. Großstadt Minsk
umsonst ist und alles für ihn bereitet wird! Das ist mein
steht sozusagen, auch kein einziges Haus mehr, nur
Wunsch!
noch die Kamine stehen über den Trümmern.29
Sie werden heute mit Ihrer Gemeinde das Patronatsfest
Wenn man so durch den Schutt fährt, soweit überbegehen, mit feierlichem Hochamt und wie froh wäre
haupt sah man z. B. im ehem. Litauen noch wunderich Teilnehmer sein zu können, anstatt … wie primitiv
schöne [Häuser], ich denke da z. B. an Wilna, aber im
wird doch alles im Kriege, z. B. mein Morgengebet hat
eigentlichen Rußland nur noch selten. Eine ehem.
folgende Geschichte. Ich war rasiert und cremte mich
Deutsche erzählte uns in Minsk: 10–15x verheiratet war
ein. Etwas Creme auf die Stirn, etwas auf die rechte und
unter den Funktionären gang und gebe. Die Kinder
linke Wange und etwas in die Gegend des Kehlkopfes.
wurden früher vom Staat unterhalten. Später als das zu
Ein Kamerad sagte, bist Du katholisch; ja, sagte ich,
kostspielig wurde, kam ein Gesetz mit Zahlung des
warum? Weil Du das Kreuz machst, sagte er. Seitdem
mache ich auf diese Art tatsächlich mit Verstand täglich
immer [f ]rüh dieses Kreuz als Morgengebet!
html?c=dokument_de&dokument=0088_kbe&object=abstract
Lassen Sie mal wieder etwas hören und seien Sie mit
&st=&l=de (aufgerufen am 21.12.2021).
29
Bender verliert hier kein Wort zur Kesselschlacht bei Białystok
der Bitte, um Ihr Gebet, recht herzl. gegrüßt von
und Minsk (22. Juni bis 9. Juli 1941), in deren Zuge die Stadt von
der Wehrmacht belagert und zerstört worden war.
Ihrem August.
81
82
18. Sept. 1941.
Grüß Gott, Herr Pfarrer!
Recht frohen Dank für Ihre Namenstag-Gratulation mit
dem Heftchen „junge Kirche“. Die letzte Woche hatten
wir eine Diskussion über Christus und jetzt kommt mir
wie gerufen dieses Heftchen in die Finger! Den mit Ihrer
Karte avisierten Brief habe ich bis jetzt noch nicht erhalten, das wundert mich aber ganz und gar nicht, denn ich
habe z.Zt. seit etwa 6 Wochen keine Nachricht mehr von
meiner Lieben, obwohl ich weiß, daß sie alle 2 Tage
schreibt. Was haben wir darüber schon geschimpft, aber
Rußland ist groß _ _! Es fängt an kalt zu werden. Wir liegen z.Zt. in einer ehem. […]-Pferdescheune. Diese haben
wir uns einigermaßen Wind- und Regen-dicht gemacht,
ohne Nägel, die es ja hier nicht gibt und einen Ofen aufgestellt, es ist eine Benzintonne, das Rohr leere,
zusammengesetzte Konservenbüchsen. Unsere Lastkraftwagenbatterie liefert uns Strom zur Beleuchtung,
also genug Wochen hier in dieser Robinson-Gegend. Ein
Europäer unserer Tage kann hier nur immer und immer
wieder den Kopf schütteln. Nur schade, daß man sich mit
diesen Menschen nicht unterhalten kann. Die paar, die
einige Brocken [D]eutsch können, schimpfen auf Stalin.
Meine Beobachtungen, die ich bisher machen konnte,
entsprechen ganz den Schilderungen[,] die man früher
über den Bolschewismus las, ja sie übertreffen diese
noch.30 Die Menschen selbst sind äußerst fleißig und
alles Unglück brachte eben die Führung. Das, was wir
hier als schön empfinden, ist die gemeinsame Arbeit auf
dem Felde und es ist ein schönes Bild, wenn so die ganze
Gemeinde draußen steht und erntet. Wenn man diesen
Menschen den Glauben nicht geraubt hätte, ich könnte
30
Der Antibolschewismus war ein zentraler Aspekt der
NS-Weltanschauung und Propaganda.
mir vorstellen, daß es eine wahrhaft christl[iche] Gemeinschaft wäre. Es ist das Einzige, was diese Menschen hatten. Vorgestern war ich in einer Wohnung, wir gehen ja
wegen dem [sic] Ungeziefer sonst nicht hinein und da
hing an der Wand ein Bild, in den 4 Ecken ein Kreuz und
in der Leiste eine Madonna, die natürlich ganz anders ist
als unsere Muttergottes, ich glaube aber doch es sollte
die Muttergottes sein. Das Bild nahm den Hauptplatz an
der Wand ein. Im übrigen arbeiten die Menschen an
Sonntagen auch nicht.
Mit den besten Grüßen auch allen Bekannten
Ihr August.
Kl[eino]stheim scheint merkwürdiger- und erfreulicherweise im Osten gut weggekommen zu sein! – Karl Wolf
sei gefallen[,] wurde mir mitgeteilt. Er war ja früher
auch bei uns.
20. November 1941.
Grüß Gott, Herr Pfarrer!
Ihr Brief hat mir wieder Freude gemacht. Ich empfing
ihn erst jetzt mit einem Schwung anderer. Ich danke
Ihnen dafür. – Zuerst waren wir 8, dann 6 und jetzt wieder 6 Wochen ohne jede Post und was das dann ein
Freudentag ist, wenn es Grüße aus der Heimat gibt,
können Sie sich lebhaft vorstellen!
Ja, dieser Krieg ist wirklich Vernichtung, Stalin hat doch
mit dem Ertrag dieses reichen Landes nichts anderes
gemacht als Mordgeräte geschafft [sic]. Man muß sich
immer nur so wundern, wenn man hierüber Zahlen
hört. Hier, in Rußland kann selbst jeder blöde Hammel
sehen, wohin ein Volk ohne Gott und seine Kirche steuert. Nach außen stehen die Kirchen noch, wenn man
aber hineingeht, sind es Garagen, Gemeinschaftsräume
und Gottlosenmuseen gewesen. Ich habe hier, ein in
Rußland gedrucktes, deutsch-russ. Wörterbuch in Händen und wollte mich gestern Abend mit dessen Hilfe
über die Gottlosenbewegung etc. mit meinen derzeitigen Quartierleuten unterhalten, aber siehe da, alle
Wörter überirdischen Begriffs sind nicht darin zu finden. Hier trifft man in jedem Haus eine neu errichtete,
schöne Herrgottsecke, ich frug seit wann und man antwortete mir: „seit Stalin fort“. Ich weiß nicht, ob ich es
Ihnen schon schrieb, daß wir z.Zt. in Minsk Zeugen sein
konnten, wie sich viele, viele taufen ließen.
Ich schrieb dieser Tage auch darüber meiner Frau. Ein
Volk äußerst [P]rimitiver, ansspruchslos, arm und ohne
Gott in einem von ihm so reich geschaffenen Land. Was
könnte hier geerntet werden ohne Brachwirtschaft und
mit Dung?
Die Frauen, das fällt uns allgemein auf, sind äußerst fleißig, ja mehr als das, sie sind bald die Sklavin des Mannes. Sie verrichten die gesamten Haus-, Feld- u[nd]
Erntearbeiten und haben dabei noch alle einer Menge
Kindern das Leben geschenkt und diese werden so
nebenbei hart und, wie das Volk nun einmal ist, primitiv
erzogen. Daß die Bolschewisierung Deutschlands vorgesehen [ist], beweist schon allein die Tatsache, daß die
Kinder in der Dorfschule sogar nebst [R]ussisch auch
[D]eutsch lernen mußten.31 Der Mann schafft selten,
meist steht er beim Arbeiten der Frau dabei und raucht
eine aus Zeitungspapier gedrehte Zigarette! und ist
auch unsauberer als die Frauen. Eines finde ich hier
schön und das ist die Gemeinschaftsarbeit[,] bei der
sämtliche Frauen des Dorfes mithelfen und diese wird
mit Humor und Frohsinn verrichtet, wenn sie meist von
den Erträgen auch nichts haben als ihr armseliges
Leben zu fristen. Wir haben uns über dieses bewunderungswürdige Treiben schon oft unterhalten.
Daß der kleine Fecher32 in Orscha33 gestorben ist, war
mir neu. Auch ich hatte z.Zt. in Orscha die Ruhr34 […]
Eine Morphiumspritze hat mir jedoch, nachdem Opium
und alles andere versagte, geholfen. Ganz Orscha hat
z.Zt. gesch…
Indem ich auf einen baldigen Frieden hoffe und auf
Gott vertraue, grüße ich Sie als
Ihr August.
Rußland, 30. Dez. 1941.
Sehr geehrter Herr Pfarrer!
Zum neuen Jahre die allerbesten Wünsche Ihnen mit
der ganzen Gemeinde! Hoffentlich bringt es uns endlich den heißbegehrten Frieden zum Wohle des ganzen
Volkes. […]
Mit frohem Gruß!
Ihr sehr ergebener August.
Rußland, 18.1.42.
Grüß Gott, Herr Pfarrer!
Haben Sie Dank für den Weihnachtsbrief, der gestern zu
mir gelangte. Es war die 1. Weihnacht fern der Heimat,
ob es die letzte ist? […] Kl[eino]stheim hatte anfangs fast
keine Opfer des Krieges und auf einmal hagelte es
gerade so. Ja es ist schade, um jedes junge Leben und
um Leute wie Leopold35 ganz besonders. – Von unseren
32
33
31
Ein Beleg für die Furcht vor einer revolutionären Bolschewisierung Deutschlands, die seit 1918 um sich gegriffen hatte
und auch in der NS-Propaganda regelmäßig als Gefahr
beschworen worden war.
34
35
Anton Hermann Fecher (1922–1941). Pfarrei Sankt Laurentius
Kleinostheim (Anm. 2).
Stadt im heutigen Belarus.
Eine ansteckende Durchfallerkrankung.
Leopold Glaab (1913–1941) war im September des Vorjahres in
der Nähe von Murmansk gefallen. Pfarrei Sankt Laurentius
Kleinostheim (Anm. 2).
83
84
Opfern wollen wir gerne absehen und sie ertragen, von
denen sie schreiben, wenn nur dafür die Garantie gegeben ist, daß jedweder Bolschewismus verschwindet und
die Glocken von den Türmen aller Kirchen den Einzug
des „Reiches Gottes“ verkünden. Wie ungeheuer groß,
wenigstens materiell, die bolsch[ewistische] Gefahr war,
ahnte keiner und wie sie die armen Menschen noch
mehr als zu Sklaven erniedrigt hat, müssen wir täglich
sehen. […] der Bolschewismus brachte es in 20 Jahren
nicht fertig, Gott und den Glauben an ihn zu brechen. Er
hat die Menschen […] gemartert, erschossen, aber nicht
Gott verbannt. Wie damals das religiöse Leben blühte in
diesem reichen Land, das beweisen die schönen Gotteshäuser, deren Gerippe ja fast überall noch steht, wenn
deren Räume auch anderen Zwecken dienten. Kürzlich
hatte ich ein in Rußland gedrucktes Wörterbuch:
deutsch-russ. in Händen und wollte die Leute über
[V]erschiedenes ausfragen, in ihm fehlten aber alle religiösen Begriffe. Nur Pfaffe etc. war darin zu finden. Hoffen wir für die Zukunft das Beste. Gottes Wege sind ja
unberechenbar.
Mit den besten Grüßen
Ihr August.
Junges Leben wächst trotz des Krieges erfreulicherweise in Kl[eino]stheim
6.5.42.
Grüß Gott, Herr Pfarrer!
Der Winter ist vergangen und ich muß unserem Herrgott danken, daß ich ihn so gut überstanden habe. Wie
hart waren die Tage bei [-]57 Grad und schon jetzt ist
schon alles wieder vergessen. Das Leben geht weiter.
Täglich fordert es seine Opfer. Wieviele [sic] Kameraden[,] mit denen ich noch den Winter zusammen war,
sind nicht mehr! Wie oft habe auch ich dem Tod ganz
nah gestanden. Jetzt ist es wieder etwas ruhiger hier
geworden. Wann wird dieses grausige Morden ein
Ende nehmen? Was wird noch alles kommen. Die Menschen werden täglich härter! – Wie weit der Mensch
ohne Gott sinken kann, dafür ist Rußland ein lebendes
Beispiel, es sind wilde Tiere!
Arme Bewohner in einem so großen und reichen Land
– was aber getan wird, macht nur die Angst und Peitsche! Viele sehen oder wollen den tieferen Grund nicht
erkennen und doch liegt er so nahe. – Was gibt es
zuhause Neues?
Recht frohe Pfingsten und mit der Bitte, um Ihr Gebet
für mich und meine Familie, grüßt Sie mit den besten
Wünschen
Ihr August!
24.7.42.
Grüß Gott!
Einmal wieder einen Gruß aus dem weiten Osten! in
Ihre Schweigsamkeit. Wir sind dauernd jetzt wieder auf
der Achse. Gesundheitlich bin ich Gott sei Dank wohlauf, auch von zuhause habe ich gute Nachricht. Mit der
Post klappt es z.Zt. ausgezeichnet und 16 Wochen ohne
Nachricht, wird wohl nicht mehr vorkommen – Was
gibt es dort [in Kleinostheim] Neues? Ihre schönen
Übersichtsberichte fehlen seit langer Zeit, warum?
Mit den besten Grüßen an alle
Ihr sehr ergebener August!
26. Febr. 1943.
Grüß Gott!
In letzter Zeit waren wir immer auf Achse und ich hatte
kaum Zeit das Notwendigste zu erledigen, aber heute
gleich an Sie ein Lebenszeichen! Zunächst frohen Dank
für Ihren Besuch bei meiner Familie. […] Hier ist immer
das gleiche Spiel, wir müßen halt überall dahin, wo es
brennt und kaum ist dann das wieder bereinigt, geht
es weiter, so zigeunern wir eben viel umher! Es ist in
Rußland halt überall das gleiche Bild, tot [sic] und
Elend, hat der Bolschewismus dem Volk gebracht. […]
Stalingrad muß zuhause überall viel Schmerz und
Schatten geworfen haben.36
Wer wird von Kl[eino]stheim wieder dabei sein?
Mit frohem Gruß und der Bitte um Ihr Gebet, grüßt
Ihr August!
5. April 1943.
Grüß Gott, Herr Pfarrer!
Ihr Gruß freute mich wieder! Jawohl, dieser schwere
Winter ist auch von mir wieder gut überstanden und
ich danke unserem Herrgott für all seinen Schutz und
seine Hilfe! – Sind Sie optimistisch geworden? Gewiß
bedingt der totale Krieg ein baldiges Ende37, aber an
dieses Jahr stelle ich diese Hoffnung kaum. Mit Rußland könnte es vielleicht zu einem Abschluß kommen.
– Dann ja, hoffen wir!
Ja, Gottes Wirken […], das kann man wohl auch wieder
zu den neuen Vorfällen in Kl[eino]stheim sagen. Man
soll ja niemand[em] etwas Böses wünschen, aber eine
Befriedigung ist das doch, daß man endlich diesen […]
[Saboteur] gefasst hat. Mit welch teuflischen Methoden
hat er jahrelang unsere Arbeit sabotiert! – Gott sei’s Ihm
gnädig.
Sonst ist es z.Zt. hier, in dem heiß umstrittenen
Abschnitt, bedingt durch die derzeitige Schlammperiode, ruhig geworden. – Und nun die besten Wünsche
Ihnen und allen tapferen Kämpfern für Christi Reich,
von
Ihrem August!
22.8.43.
Grüß Gott!
Bei meinem jetzigen Urlaub hatte ich Pech, sodaß ich
Sie nicht treffen konnte, denn Sie waren ver[r]eist. Am
Freitag vor dem Lorenzen-Tag [Laurentius] war ich
abends zur Verabschiedung nochmals in Kl[eino]stheim, da waren Sie im Dorf! Bei Kirchgeßners glaubte
ich Sie zu erreichen, aber da waren Sie auch gerade
wieder weg! Schade!
Ich hatte wieder einmal Glück, denn die Komp[anie]
machte während meines Urlaubs ihre bisher härtesten
Tage bei der Oreler-Schlacht [Orjol]38 mit! Jetzt ist es
z.Zt. bei uns wieder etwas ruhiger.
Mit den besten Wünschen und der Bitte um Ihr Gebet
für mich und meine Familie, grüßt Sie
Ihr August!
Frank Jacob
36
37
Gemeint ist die Schlacht von Stalingrad (August 1942 bis Februar
1943), die als „psychologischer Wendepunkt“ des Krieges im
Osten gilt.
Propagandaminister Joseph Goebbels hatte in seiner sogenannten Sportpalastrede am 18. Februar 1943 zum „totalen Krieg“
aufgerufen. Joseph Goebbels, Rede im Berliner Sportpalast
[„Wollt Ihr den totalen Krieg“], 18. Februar 1943, online: https://
www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de
&dokument=0200_goe&object=translation&l=de (aufgerufen
am 21.12.2021).
38
Gemeint ist die Orjoler Operation, eine sowjetische Offensive im
Sommer 1943.
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